Stellungnahme SRF Sendung «Puls» vom 08.06.2020

Zuerst einmal danke an die zwei Frauen, dass ihr in der Sendung dicke Menschen sichtbar gemacht habt! Ihr wart super sympathisch und wenn ihr mögt, freue mich sehr, mit euch in Kontakt zu kommen. Meine Kritik an der Sendung gilt nicht euch, sondern dem SRF, welche leider das Thema völlig verfehlt, schlecht recherchiert und damit die Vorurteile gegenüber dicken Menschen erhöht hat.

In der Sendung ging es nicht wirklich um Gewichtsstigma, sondern um die Behandlung von dicken Menschen und durch die gewählten Fachpersonen erweckt sich der Eindruck, dass es eher Werbung für Bariatrische Zentren ist.

Aus Zeitgründen werde ich mich auf 10 Kritikpunkte beschränken und nicht auf alles im Detail eingehen.

1) Der Titel «Stigma Adipositas» ist bereits problematisch. Menschen werden Aufgrund ihres Gewichts-Grösse-Verhältnisses als «Adipös» bezeichnet. Dass der BMI sehr umstritten ist, sollte mittlerweile auch hier in der Schweiz angekommen sein.

Hätte die Sendung dicke Menschen und deren Diskriminierung durch die Gesellschaft, speziell im medizinischen Umfeld, im Fokus, hätte der Titel «Gewichtsstigmatisierung / -Diskriminierung» heissen müssen.

2) Die Sendung wird mit einem «Headless Fatty»​1​ beworben. Der „kopflose Dicke“ wird häufig verwendet und das Fehlen des Gesichts, der Stimme und Meinung reduziert den Mensch auf eine entmenschlichte Fettmasse. Dadurch wird die Würde von dicken Menschen verletzt und durch die Entmenschlichung wird das Stigma erhöht.

Das gleiche Foto wurde von SRF bereits einmal benutzt und von mir kritisiert. Ich war danach im Kontakt mit Keystone – SDA, denn ein seriöses Unternehmen wie das SRF sollte keine «kopflosen Dicke» verwenden.

3) Das Segment zur Sendung «Adipositas» Stigma startet die Moderatorin mit dem Ausrechnen und Erklären des BMI.
Liebes SRF, Ihr habt das Thema nicht verstanden! Gewichtsdiskriminierung passiert und der fragwürdige BMI ist hier irrelevant. Die Bezeichnungen «Übergewicht», «Adipositas» etc. werden von vielen dicken Menschen weltweit abgelehnt. Es gibt neutrale Begriffe die hier verwendet werden müssen.

Die dicken Personen werden dann auch mit dem Namen und BMI vorgestellt – so als «Qualitätsmerkmal», damit sie über das Thema reden dürfen. Weshalb wurde dies bei den Fachpersonen nicht gemacht, wenn der BMI so wichtig ist? 😉

Im ersten Teil der Sendung geht es um medizinische Gewichtsdiskriminierung:

4) Die zwei dicken Frauen erhalten im ersten Teil ganze 2 Minuten Sendezeit um über Gewichtsdiskriminierung im medizinischen Umfeld zu reden. Dieser Teil ist sinnvoll und hätte ausgebaut werden müssen, gerade hier hätte der Fokus der Sendung liegen müssen!

5) Zwei Medizinstudenten werfen sich in Fat Suits und erhalten 5 Minuten Sendezeit, um jedes verdammte Vorurteil über dicke Menschen hervorzuholen und den Zuschauern vor die Nase zu halten. Inklusive Fast Food vom grossen M.

Die Studenten können mit dem Fat Suit kaum gehen, nach wenigen Minuten sind sie völlig erschöpft. Es wird so getan, als ob sich hier ein Rückschluss auf dicke Menschen ziehen lässt.

Medizinstudenten, ihr habt noch viel zu lernen über Muskeln und so. Stellt euch vor: diese Muskeln passen sich einem dicken Körper an! Darum können dicke Menschen im Fitness Center auch ein höheres Gewicht mit der Bein Presse stemmen. Dicke Menschen können tanzen, Yoga machen, wandern gehen und oh ja, Sex haben!

Beim Anprobieren der Kleider braucht die Dicke im Fat Suit Hilfe ihrer dünnen Kollegin, sie kann das Oberteil sonst nicht anziehen. Natürlich gibt es Menschen, die Assistenz benötigen, in jedem Gewicht. Hier in der Sendung werden dicke Menschen dargestellt, als ob sie unfähig wären, sich selber anzuziehen.

Dieser Teil der Sendung hinterlässt mich sprachlos und ich weiss nicht ob ich lachen oder weinen soll. Anstatt mit dicken Menschen zu reden und auf ihre Expertise zu hören (lived experience), werden Studenten losgeschickt und die machen genau das Gegenteil, sie erhöhen «Stigma Adipositas» und erzählen dies auch gleich der ganzen Schweiz in einer Sendung.

Gewichtsdiskrimierung ist ein riesengrosses Problem in der Schweiz. Ihr seid durch das Tragen einer Verkleidung keine Experten. Das SRF hat euch hier in Situationen manövriert, mit welchen ihr die Stigmatisierung von dicken Menschen erhöht.

Der umstrittene Einsatz von Fat Suits muss auch aus Ethischen Gründen kritisiert werden:

«Eine beträchtliche Anzahl von Literaturangaben weist auf die weitreichenden negativen Auswirkungen der Gewichtsstigmatisierung und auf die umfangreichen Erfahrungen mit Mikroaggressionen, Vorurteilen und struktureller Diskriminierung hin, mit denen höhergewichtige Personen konfrontiert sind. Der Gedanke, dass die Erfahrungen einer marginalisierten Gruppe von den Privilegierten überprüft werden müssen, um als legitim angesehen zu werden, dient nur dazu, die gegenwärtige Machtstruktur zu stärken und aufrechtzuerhalten, und stellt eine weitere Form der Unterdrückung dar. Wir können die Erfahrung der «Adipositas» nicht manipulieren und versuchen, genau die Menschen zu entwerten, deren Wohlergehen wir angeblich verteidigen wollen.»​2​

2. Teil der Sendung

6) Während 1 Minute kommen noch einmal die zwei dicken Frauen zu Wort. Es startet direkt mit dem Blickwinkel der Kamera aus dem Kühlschrank und es dreht sich um das Thema Sättigung.
Was hat der Blick in den Kühlschrank und das Thema Sättigung mit dem Thema Gewichtsstigma zu tun…?

7) Jetzt wird das Thema Hunger und Sättigung mit Bildern von Burger, Pommes, Sahnetorte und Donut erklärt. Hier fehlt ganz klar der Zusammenhang mit Diäten, welche nachhaltig Hunger und Sättigung beeinträchtigen und die stereotype Darstellung ist auch hier hoch problematisch.

8) Der zweite Teil mit der Ärztin.

Moderatorin: «Es hiess doch immer ‹Big is beautiful›»
Ärztin: «Das isch e chli es Schönrede…» (Das ist ein bisschen ein Schönreden).

Hier wird über mich als dicke Person geurteilt. Dass ich, wenn ich sage, dass ich mich schön finde und richtig bin so wie ich bin, mir etwas «schön rede».

In der Sendung dreht es sich um das Ziel der Gewichts-Normativität.

Lived experience wird nicht ernst genommen. Die Wichtigkeit eines positiven Body Image wird nicht aufgezeigt. Gewichtsdiskriminierung als ein Problem sozialer Ungerechtigkeit mit einer Beeinträchtigung grundlegender Menschenrechte kommt nicht zum Tragen.

Gast Beitrag zu diesem Dialog: Ja zur Selbstermächtigung

9) Neben der Fat Suits Geschichte ist das absolut schlimmste die folgende Aussage: Man solle dicke Menschen und Schüler unbedingt auf das Gewicht ansprechen, «respektvoll, aber nicht weg schauen.»

Nein, nein, nein! Das ist hochgradig falsch und stimmt nicht mit den aktuellen Erkenntnissen über negatives Körperbild, Essstörungen und Gewichtsstigma überein. Nie, nie, nie – wer je mein Kind auf sein Gewicht anspricht und damit ein negatives Körperbild pusht, bekommt es mit mir zu tun.

Diese Aussage ist hochproblematisch und wird einen negativen Einfluss für alle dicken Kinder und Familien haben!

10) «Experten-Chat»

35 Fragen wurden durch die 3 Anti-Adipositas Fachpersonen beantwortet und es dreht sich alles ums Abnehmen und den BMI.

Die Experten empfehlen dann auch hauptsächlich Abnehmen, das Melden bei Adipositas Zentren und sieben Mal wird auf Bariatrische Chirurgie hingewiesen.

Um Gewichtsstigmatisierung / -Diskriminierung geht es hier nicht. Das zeigt noch einmal ganz deutlich auf, dass das Thema der Sendung schlicht und einfach verfehlt wurde!

Es beelendet mich zu sehen, wie hier ein Thema, dass in der Schweiz so dringend Aufmerksamkeit braucht, verdreht und verfälscht wird, so dass es nur eines macht:

Das Gewichtsstigma in der Schweiz verstärken!

P.S. Im Interview mit Marco Bueter wird zwar ein wertschätzendes Bild von CanWellAllGo​3​ verwendet. Jedoch spricht Bueter u.A. von „Morbider Adipositas“, was hoch problematisch ist!

P.P.S. Ich habe gestern im Experten Chat nachgefragt, was sie denn davon halten, dass ein «Headless Fatty» für die Sendung verwendet wird, aber keine Antwort erhalten.


Screenshot srf.ch vom 08.06.2020

Referenzen

  1. 1.
    Cooper C. Headless Fatties’ [Online]. London. Available: Published 2007. http://charlottecooper.net/fat/fat-writing/headless-fatties-01-07/
  2. 2.
    Meadows A, Daníelsdóttir S, Calogero R, O’Reilly C. Why fat suits do not advance the scientific study of weight stigma. Obesity. Published online January 11, 2017:275-275. doi:10.1002/oby.21742
  3. 3.
    Plus Size Stock Photos. AllGo. https://canweallgo.com/plus-size-stock-photos/